Digitales Gedenkbuch Zwangsterilisation
Insgesamt 94 Bewohnerinnen und Bewohner der ehemaligen diakonischen Heil- und Pflegeeinrichtung Eben-Ezer, die um 1935 die Bezeichnung „Anstalt für Geistesschwache und Epileptiker“ führte, wurden während der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft unfruchtbar gemacht. Diese Zahl erschließt sich aus umfangreichen Recherchen im historischen Archiv der Stiftung und im Landesarchiv Detmold. Bekannt ist auch, dass einige dieser zwangsweise sterilisierten Menschen in den Jahren 1941 bis 1945 der sog. „T4-Aktion“, dem Mordprogramm der Nazis an Behinderten und Kranken, zum Opfer fielen.
Die Unfruchtbarmachung der überwiegend jugendlichen „Fürsorgezöglinge“ erfolgte auf der Basis des „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (GzVeN)“, das am 14. Juli 1933 von der Reichsregierung erlassen wurde und zum 1. Januar 1934 in Kraft trat. Aufgeführt wurden dort die „Erbkrankheiten“ wie „angeborener Schwachsinn“, „Schizophrenie“ oder „erbliche Fallsucht“ (Epilepsie), deren Feststellung maßgeblich für die Einleitung von Sterilisationsverfahren war.
Die Berechtigten, eine Unfruchtbarmachung beim jeweils zuständigen Erbgesundheitsgericht beantragen zu können, wurden im GzVeN aufgeführt. Neben den Amtsärzten waren auch die Leiter von Kranken-, Heil- und Pflegeanstalten sowie Strafanstalten antragsberechtigt. Gemäß einer Ausführungsverordnung zählten auch Fürsorgeerziehungsanstalten zu den Pflegeanstalten, so dass die Lemgoer Anstaltsleitung eigenständig Anträge auf Unfruchtbarmachung stellen konnte.
Ein Antrag, der durch ein „ärztliches Gutachten oder auf andere Weise“ begründet werden musste, war dem zuständigen Erbgesundheitsgericht zu übermitteln. Die „Erbkrankheit“, die das Verfahren zur Sterilisierung nach sich zog, hatte ein „für das Deutsche Reich approbierter Arzt einwandfrei“ festzustellen. Anträge durch den Anstaltsleiter, der nicht selbst Arzt war, bedurften der Zustimmung des leitenden Anstaltsarztes. Von einem Antrag konnte abgesehen werden, wenn der Bewohner dauerhaft in einer geschlossenen Anstalt „verwahrt“ und dort an einer Fortpflanzung gehindert wurde.
Bereits 1931 hatte der „Eugenische Ausschuss der Inneren Mission“ die Sterilisation an „erbbiologisch schwer Belasteten“ als „religiös sittlich“ gebilligt. Dementsprechend besaßen die verantwortlich in der Anstalt Eben-Ezer Tätigen, die Anstaltsleiter Diehl und Müller sowie die Ärzte Dr. Fiebig und Dr. Haberkant, eine positive Haltung zur Zwangsterilisation. Ihre Einstellung kommt in den umfangreich archivierten Dokumentationen, fragwürdigen Diagnosen und Antragsbegründungen deutlich zum Ausdruck.
So begrüßte Dr. Fiebig im Jahr 1934 „[…] dankbaren Herzens die von unserer Reichsregierung getroffenen Maßnahmen zur Erhaltung von Volk und Rasse.“ Man sei „[…] durch das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses in den Stand gesetzt, an dem Aufbau des Reiches tätigen Anteil nehmen zu dürfen.“ Bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes meldete er dem Landeshauptmann der Provinz Westfalen drei Männer und vier Frauen mit der Diagnose „angeborener Schwachsinn“ als „dringendste, offenkundige Fälle für eine Sterilisierung.“
Die Kinder und Jugendlichen aus häufig ärmlichsten Familienverhältnissen, die von kommunalen Fürsorgestellen des damaligen Freistaates Lippe oder von Wohlfahrtseinrichtungen anderer Regionen als „Zöglinge“ der Anstalt Eben-Ezer zugewiesen wurden, standen unter fortwährender strenger Beobachtung durch Stationspfleger, Anstaltsärzte und Lehrer der internen Hilfsschule. Sie dokumentierten regelmäßig die Schwächen und Auffälligkeiten ihrer zu Betreuenden, reglementierten, bestraften und holten zum Nachweis „angeborenen Schwachsinns“ Erkundigungen über deren Eltern und Geschwister ein, um die Anträge auf Unfruchtbarmachung begründen zu können.
Die heutige diakonische Stiftung Eben-Ezer möchte mit den Biografien im vorliegenden Opferbuch an die ehemaligen Bewohnerinnen und Bewohner erinnern, die dem rassehygienischen Wahn schutzlos, an Leib und Seele verletzt, ausgeliefert waren.