Veranstaltung "Gegen das Vergessen"

Eben-Ezer setzt die Erinnerungsarbeit fort. Nach der Aufarbeitung der Lebensläufe von über dreißig Bewohner*innen, die Ende der 1930er Jahre dem Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten zum Opfer gefallen sind, wurde nun die Biographie des langjährigen Anstaltsleiters Herbert Müller fertig gestellt. Der Pädagoge hat von 1928 bis 1968 in Eben-Ezer gewirkt und war ab 1939 Leiter der Einrichtung. Die Biographie erhellt sein fortschrittliches pädagogisches Wirken ebenso wie seine von Anpassung gekennzeichnete Rolle während des NS-Regimes und skizziert die ersten Jahre der jungen Bundesrepublik.

Im Rahmen eines Fachtages am 15. November wurde die Biographie der Öffentlichkeit vorgestellt. Außerdem zeigten Studierende der Fachhochschule der Diakonie Bethel einen Film über die Opfer der Zwangssterilisation. Der Film ist das Ergebnis der Auseinandersetzung mit dem Thema im Rahmen von zwei Seminaren an der Fachhochschule. Im Fokus des Films steht die Geschichte von Wilhelm Nolting, der sowohl Opfer der Eugenik als auch – wohl aufgrund von Spätfolgen der Sterilisierung - der „Euthanasie“ wurde, weil er nicht mehr arbeitsfähig war.

Der Sonderpädagoge im Ruhestand Heinrich Bax hat im Archiv von Eben-Ezer und darüber hinaus recherchiert und 87 Menschen aus Eben-Ezer, die während des NS Regimes als „fortpflanzungsgefährlich“ eingestuft und zwangssterilisiert wurden, mit Biographien gewürdigt. Er stellte seine Arbeitsergebnisse exemplarisch während des Fachtages vor. Die vierstündige Veranstaltung – eine Mittagspause inbegriffen - war gut besucht. Der Vorstand Pastor Dr. Bartolt Haase ging in seiner Begrüßung besonders auf das Schicksal der Opfer der Eugenik ein. „Diese Menschen hatten keine Lobby, keinen Fürsprecher. Das ist auch ein Versäumnis der Kirche.“ Insbesondere junge Menschen zwischen 14 und 18 Jahren wurden sterilisiert. Viele Frauen haben den Eingriff nicht überlebt. „Sie sind während oder nach der Operation gestorben“, so Bax. Sein Vortrag erzeugte Betroffenheit im Plenum. Gut, dass eine längere Mittagspause folgte, in der man sich über das Gehörte austauschen konnte.

Nach der Pause stellte der Historiker und Autor Dr. Frank Konersmann die Biographie von Herbert Müller vor. Knapp zwei Jahre hat er an dem Buch „Der Heilpädagoge Herbert Müller in Eben-Ezer, Biographie eines Schul- und Anstaltsleiters (1906 – 1968) gearbeitet. Das umfangreiche und gut geführte Archiv der Stiftung leistete ihm dabei gute Dienste. Auch mit Zeitzeugen hat er gesprochen. Herausgekommen ist ein differenziertes und sehr detailgetreues Werk, das den ambivalenten Charakter von Müller sehr gut darstellt. Sowohl einfühlsam und fürsorglich gegenüber den Bewohner*innen wird er beschrieben. Aber auch offen gegenüber der nationalsozialistischen Weltanschauung, der er im Alltag von Eben-Ezer immer mehr Einfluss gewährte. So stellte Eben-Ezer unter Müllers Führung weder Zwangssterilisation noch den Abtransport von Bewohnern in Einrichtungen, die sie nicht mehr lebend verlassen sollten, in Frage. Zusammen mit seiner Frau, einer Lehrerin, leitete Müller Eben-Ezer auch nach dem Zweiten Weltkrieg weiter bis zu seinem plötzlichen Herztod im Alter von 62 Jahren. Die Biographie ist im Buchhandel erhältlich und kostet 19,90 Euro.

 

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