Gedenkveranstaltung und Gottesdienst am Volkstrauertag
Am Volkstrauertag, dem 19. November 2017, wurde im Rahmen einer Gedenkfeier mit anschließendem Gottesdienst das Mahnmal zum Gedenken an die in Eben-Ezer beheimateten Opfer der „Euthanasie“ eingeweiht, das seinen Platz neben der Kapelle Alt Eben-Ezer gefunden hat. Vorausgegangen war zwei Tage vorher ein Fachtag zum Thema „Euthanasie“, zu dem die Stiftung geladen hatte. Der Impuls für die Errichtung dieses sichtbaren Erinnerungszeichens entstand aus dem Kontakt zu Helmut Monzlinger, der sich beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe für die LWL-Kliniken Lippstadt und Warstein um die regionale Psychiatriegeschichte kümmert. Vor der Warsteiner LWL Klinik in der Treise- Kapelle steht ein Mahnmal für die zwischen 1940 und 1943 aus der damaligen Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt deportierten Menschen. 36 dieser insgesamt 1575 Menschen lebten in der Stiftung Eben-Ezer. Sie wurden am 8. April 1937 zusammen mit anderen Bewohnerinnen und Bewohnern Eben-Ezers nach Warstein verlegt.
So kam bei der Wahl des Standortes nur Alt Eben-Ezer in Frage. Durch die direkte Nähe zur Kapelle „Zum guten Hirten“ rücken die getöteten Menschen auch sinnbildlich in die Nähe Gottes und sind bei ihm geborgen – ganz im Gegensatz zu der Bedrohung, der sie in der damaligen Zeit ausgesetzt waren und die sie schließlich das Leben gekostet hat. Und so steht über der Stahlplatte, die die Form eines Splitters, eines Stachels oder einer Scherbe hat, der Satz Jesu: „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost: Ich habe die Welt überwunden.“ (Joh 16,33)
Aus dem Stahl mit einem Laserstrahl herausgebrannt sind die Namen der 36 Männer und Frauen, die der „Euthanasie“-Ideologie der Nazis zum Opfer fielen. Zur Einweihung der Gedenkstele erläuterten Bernhard Schrewe und Robert Pasitka von der Agentur mues und schrewe, die auch das Warsteiner Mahnmal in der Treise-Kapelle entworfen und umgesetzt hat, ihren Ansatz in Bezug auf Symbolik und Material: „Die Schrift: Die genormte Schrift stellt einen optischen Bezug zur schablonierten Beschriftung der Eisenbahnwaggons her, mit denen die Menschen von Warstein aus in den Tod geschickt wurden. … Richten wir unsere Augen nach oben, gegen den Himmel, dann können wir die 36 Namen lesen. Für uns Christen ist der Himmel ein Sinnbild für das ewige Leben bei Gott – und ein Zeichen dafür, dass es den Nationalsozialisten eben nicht gelungen ist, die Namen auszulöschen. Im Gegenteil, sie sind auf ewig in den Himmel geschrieben!“
Pastor Dr. Bartolt Haase nannte die Gedenkstele ein Zeichen dafür, „dass wir uns als Stiftung Eben-Ezer der Verantwortung gegenüber den zu Opfern gewordenen Menschen stellen, ein Zeichen dafür, dass wir aus einem aktiven und aufrichtigen Gedenken für heutiges und zukünftiges Handeln lernen wollen.“ Er dankte Helmut Monzlinger, Heinrich Bax und Frank Konersmann für ihre Impulse und wissenschaftliche Aufarbeitung. Haase dankte auch im Namen seines Vorstandskollegen Udo Zippel den kirchlichen und gesellschaftlichen Institutionen aus der Region für ihre ideelle und finanzielle Unterstützung. Das sind die Alte Hansestadt Lemgo, der Kreis Lippe, der Landesverband Lippe, die Lippische Landeskirche, der Landschaftsverband Westfalen-Lippe sowie der Förderverein der Diakonie Lippe. Christine Schulze wohnt seit mehr als 40 Jahren in einer Wohnanlage der Stiftung in Lüerdissen. Sie entzündete eine Kerze in einem Windlicht. Eine warme Flamme, die „gegen die Kälte des Stahls und der darin symbolisierten Herzenskälte“ brennt, wie es Robert Pasitka bei seiner Erläuterung des Materials der Stele ausdrückte. Stellvertretend für alle Unterstützerinnen und Unterstützer des Projekts sprach Landrat Dr. Axel Lehmann. Er zeiget sich in seinem Grußwort besorgt über aktuelle politische Parteien und Haltungen rechts von der CDU. Nach einem Gebet und stillem Gedenken fand ein bewegender Gottesdienst statt, musikalisch gestaltet durch den Hausmusikkreis Linde und Kantorin Anna Ikramova. Im Gottesdienst verlas Christine Schulze im Wechsel mit Pastor Dr. Bartolt Haase die 36 Namen.
Landessuperintendent Dietmar Arends nahm einige diese Namen in seiner Predigt auf, die mit den Worten begann: „Man müsste ihre Geschichten erzählen…“. Stellvertretend für deren grausam abgebrochene Geschichten erzählte er die Geschichte von Jiphtach aus dem Buch der Richter. Jiphtach tut das unvorstellbar Grausame und opfert, weil er es Gott versprochen hat, seine eigene Tochter. Und Gott? Gott schweigt. Eindringlich zog sich wie ein roter Faden die Frage durch Dietmar Arends` Predigt: Wo war Gott, als Jiphtach seine Tochter opferte? Und wo war Gott, als 36 Menschen zu Opfern eines Menschen verachtenden und -vernichtenden Systems gemacht wurden? Und wo ist Gott heute, wenn Verbrechen gegen die Menschlichkeit geschehen? Darauf gibt die Bibel keine Antwort. Aber sie verspricht, dass Gott da ist, wo Menschen sich erinnern, wo sie klagen, trauern und gedenken. Wo sie sich dafür einsetzen, dass so etwas um Gottes Willen nicht mehr passiert. Auch wenn wir das Geschehene nicht mehr rückgängig machen und die Toten nicht mehr zum Leben erwecken können, blieb nach dem Gottesdienst doch am Ende das Gefühl, dass die 36 Menschen dabei waren, in der Mitte derer, die ihre Namen verlesen und ihrer gedacht haben.
Eine Woche später, am Volkstrauertag am 26. November, nahm Pastor Dr. Bartolt Haase an der Gedenkveranstaltung vor der Treise-Kapelle in Warstein für die 1575 Menschen teil, die allein aus Warstein abgeholt und in den Zwischen bzw. Tötungslagern umgebracht wurden. Er hatte die Aufbewahrungstafel mitgebracht, die dem Warsteiner Mahnmal im Kleinformat nachgebildet ist. An ihr sind die Magnettafeln mit den Namen der Menschen angebracht, die vor 80 Jahren von Eben-Ezer über Warstein und später nachweislich zu Opfern der „Euthanasie“ wurden. Haase verwies auch auf das digitale Gedenkbuch im Internetauftritt der Stiftung Eben-Ezer. Er wie auch Dr. Volkmar Sippel, Ärztlicher Direktor der LWL Kliniken Warstein und Lippstadt, hoben den Wert des durch die Verbindung zwischen Warstein und Eben-Ezer gestärkten Gedenk-Netzwerks hervor.