Eben-Ezer stellt sich der Vergangenheit
Gedenkstele, digitales Gedenkbuch, Gottesdienst und Fachtagung erinnern an Opfer der „Euthanasie“
Am 8. April 1937 wurden über sechzig Bewohnerinnen und Bewohner aus Eben-Ezer abgeholt und in die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Warstein verlegt. Von Warstein aus kamen sie in sogenannte „Zwischenanstalten“, wo sie verwahrt wurden, bis sie in eine der sechs „Tötungsanstalten“ des Reichs, zum Beispiel in die Anstalt Hadamar in Hessen, gebracht und dort, wie so viele andere, ermordet wurden. Die Menschen wurden entweder mit Kohlenmonoxyd erstickt oder durch bestimmte Medikamente und Nahrungsentzug getötet. Nach Ansicht der Nazis starben sie den „Gnadentod“, auch Euthanasie genannt.
36 Personen der Eben-Ezer-Gruppe wurden auf diesem Weg nachweislich zu Opfern der „Euthanasie“. Ihre Namen sind mit vielen anderen Opfern auf einer Gedenktafel in der Treise Kapelle der Provinzial-Heilanstalt Warstein verzeichnet. Auf dieser Gedenktafel ist jeder Name doppelt vorhanden, einmal auf einer kleinen abnehmbaren Tafel und einmal auf der dahinterliegenden Stahlfläche an der Wand der Kapelle. 2017 jährte sich die Verlegung der ehemaligen Bewohnerinnen und Bewohner Eben-Ezers nach Warstein zum 80. Mal. Anlässlich dieses bedrückenden Jubiläums übernimmt die Stiftung die Patenschaft für die Opfer. Das bedeutet, dass die kleinen Namenstafeln in Warstein abgenommen und nach Lemgo gebracht werden. So sollen auch die ermordeten Menschen symbolisch nach Lemgo zurückgeholt werden. Die Tafeln werden einen Platz in Neu Eben-Ezer finden. In Alt Eben-Ezer als Ort, an dem die Menschen gelebt haben, wird eine Stele mit den 36 Namen aufgestellt, um so an die Menschen und ihr Schicksal zu erinnern. Die Stele ist eine Stahlplatte, die wie ein Splitter im Rasen steckt und bewusst die architektonische Harmonie des Stiftungsgeländes stört. Aus der Platte sind die Namen der 36 Deportierten herausgelasert. Sie sind zu lesen, wenn man den Blick nach oben – zum Himmel – richtet.
Finanzielle und ideelle Unterstützung für das Projekt bekam Eben-Ezer von der Alten Hansestadt Lemgo, dem Kreis Lippe, dem Landesverband Lippe, der Lippischen Landeskirche, dem Förderverein Diakonie in der Lippischen Landeskirche, dem LWL und der Sparkasse Lemgo. Allen Institutionen ist es wichtig, dass die „Euthanasie“ im dritten Reich nicht in Vergessenheit gerät.
Bei einem Gedenkgottesdienst am 19.11. mit Landessuperintendent Dietmar Arends wird an der neuen Gedenkstele im Beisein von Unterstützerinnen und Unterstützern, u.a. von Landrat Dr. Axel Lehmann und Landesverbandsvorsteherin Anke Peithmann, der Menschen gedacht, die 1937 aus Eben-Ezer nach Warstein gebracht wurden.
Der Historiker Dr. Frank Konersmann hat von allen 36 Personen und einer weiteren, bereits in Warstein verstorbenen Bewohnerin die Biographien erarbeitet, teils mit Bildern und Hintergrundinformationen über deren Familien. Diese Biographien, Fotos und erläuternde Texte sind in einem digitalen Gedenkbuch auf der Homepage der Stiftung einsehbar: www.eben-ezer.de/Gedenkbuch
Mit der Veröffentlichung von Gedenkstele und Gedenkbuch stellt sich die Stiftung Eben-Ezer, vertreten durch den Vorstand, der historischen und christlichen Verantwortung gegenüber den ermordeten Personen. Sie waren damals Anstaltsleitern anvertraut worden, die die Maßnahmen der NS-Regierung nicht nur hinnahmen, sondern diese auch gebilligt und gelegentlich unterstützt haben. Gedenkstele und –buch sollen nicht nur an die bisher namentlich bekannten Opfer erinnern, sondern auch stellvertretend für Menschen stehen, die durch spätere Forschungen eventuell noch identifiziert werden.
Die Fachveranstaltung am 17. November in der Kapelle von Alt Eben-Ezer bildet ein weiteres Element der historischen Aufarbeitung und stellt die Stiftungsgeschichte in Zusammenhang mit anderen Einrichtungen in Westfalen und Lippe. In der Begrüßung zur Tagung hob Vorstand Pastor Dr. Bartolt Haase den Wert gemeinsam getragener Verantwortung hervor: „Gemeinsam Verantwortung zu übernehmen, davon gibt auch Ausdruck, dass wir als Stiftung Eben-Ezer nicht allein den heutigen Tag, den Gedenkgottesdienst am Sonntag und vor allem die Errichtung der Gedenkstele tragen. Die historische Aufarbeitung und auch die Gestaltung eines angemessenen Gedenkens sind nicht allein Thema für Eben-Ezer. Die Dimensionen reichen deutlich über unsere Stiftung hinaus.“
Die Fachtagung und die Vorstellung der neuen Gedenkstele beim Gottesdienst am 19.11. treffen auf große Resonanz mit mehr als 130 Personen. Bei der Tagung in Alt Eben-Ezer stellt Heinrich Bax als erster Referent die Stationen seiner Recherche „Eben-Ezer-Warstein-Weilmünster-Hadamar“ vor. Der ehemalige Lehrer an der Förderschule „Lernen“ in Oerlinghausen hat die Spuren der abtransportierten Bewohner Eben-Ezers verfolgt und aufgedeckt. Dr. Frank Konersmann stellt die Methodik seiner Biographien-Arbeit dazu vor und verliest zwei Biographien. Professor Dr. Hans-Walter Schmuhls Vortrag widmet sich den Beziehungen und Vernetzungen der drei ostwestfälisch-lippischen Einrichtungen Eben-Ezer, Bethel und Wittekindshof vor dem Hintergrund der NS-„Euthanasie“. Außerdem spricht Margret Hamm für die Arbeitsgemeinschaft Bund der „Euthanasie“-Geschädigten und Zwangssterilisierten.
Referenten
Heinrich Bax: Hauptschullehrer und Lehrer für Sonderpädagogik, Privatforschung zur Zwangssterilisation in Lippe (1934-1945), Funktion der Hilfsschule in der NS-Zeit als "Sammelbecken Schwachsinniger", Recherchen im Archiv der Stiftung Eben-Ezer und anderer Institutionen
Dr. Frank Konersmann: Historiker, Archivar, Forschungs- und Lehrtätigkeit an der Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie der Universität Bielefeld, betreut das Archiv der Stiftung Eben-Ezer und ist Verfasser der Festschrift zum 150-jährigen Bestehen det Stiftung Eben-Ezer
Prof. Dr. Hans-Walter Schmuhl: Historiker, Veröffentlichung zahlreicher Bücher und Beiträge zur Geschichte der Euthanasie und zur Geschichte verschiedener Institutionen
Margret Hamm: Bund der Euthanasie-Geschädigten und Zwangssterilisierten, Autorin mehrerer Bücher zum Thema